Baubiologie, Ökologie, Architektur?
Die drei Fachgebiete Baubiologie mit Ökologie im Sinne von angewandtem Umweltschutz, Architektur und Bauingenieurwesen sind eng miteinander verbunden. Umso wichtiger ist eine exakte Definition der Begriffe und Abgrenzung der Aufgabenstellungen. „Der Begriff Baubiologie bezeichnet im engeren Sinn ein Wissensgebiet, das sich mit den Einflüssen der gebauten Umwelt auf den biologischen Organismus des Menschen befasst." Zitat: IBR-Lehrwerk, Lehrbrief 01 Da die Einflüsse der gebauten Umwelt zum Beispiel in Form von Schadstoff-Emissionen verwendeter Baumaterialen nicht nur direkt, sondern auf dem Umweg über das Öko-System auf den biologischen Organismus des Menschen wirken, ist es nur konsequent auch die ökologische Betrachtungsweise mit ein zu beziehen. Folgerichtig heißt es daher weiter: „Im weiteren Sinn ist ganzheitlich der ökologische Systemzusammenhang angesprochen, in dem der Mensch mit seiner technischen Infrastruktur Stadt-Haus-Raum-Gerät zu seiner natürlichen Umwelt steht." Baubiologie und Ökologie sind somit als Einheit zu betrachten, soll es um einen Schutz des Menschen vor gesundheitsschädigenden Auswirkungen von Gebäuden gehen. Als Beispiel für diesen Zusammenhang von Baubiologie und Umwelt sei hier die Verwendung von Weichmachern (Phthalate) erwähnt. Laut einer Studie des Umweltbundesamtes werden Phthalate wie z.B. Diethylhexylphthalat (DEHP) jährlich weltweit in einer Menge von 2 Millionen Tonnen erzeugt. 90% davon werden dem PVC als Weichmacher (in Konzentrationen bis über 50% der Gesamtmasse) zugesetzt und sind in Fussböden, Verkleidungen, Kunststoffbelägen etc. enthalten. Da sie aber in den Kunststoffen nicht gebunden sind, können sie auch wieder entweichen. Sie sind chemisch relativ beständig sowie fettlöslich und gelangen über die Umwelt in die Nahrungskette. Neuesten Studien zu Folge ist die Menge der Phthalate, die die Bevölkerung aufnimmt, größer als bisher angenommen. Sie werden auch mit dem seit Jahrzehnten beobachteten Rückgang der Spermienzahlen und damit der abnehmenden männlichen Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht. Im Unterschied zu den beiden Wissensgebieten Baubiologie und Ökologie beschäftigt sich Architektur im Wesentlichen mit den Teildisziplinen Bauphysik (Schall-, Wärme-, Feuchtigkeits- und Brandschutz), technische Baustoffkunde, Hochbautechnik, Baukunst und Entwerfen und Kontextualität. Betrachtet werden die Funktionalität und Wirtschaftlichkeit, die künstlerische und kulturelle Bedeutung, die Erfüllung von physiologischen Anforderungen (Belichtung, Raumtemperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftwechsel), die Beständigkeit gegenüber Feuer, Klimaeinflüssen und Nutzung und die Einfügung in ein städtebauliches und kulturelles Umfeld, sowie emotionale und psychologische Wirkungen von Proportionen, Licht-verhältnissen, Räumen, Materialien, Farben und dergleichen. Eine wesentliche Rolle in der Planung von Gebäuden insbesondere auch im Hinblick auf Ökologie und Baubiologie kommt dem Bauingenieurwesen zu. Hiezu gehören die Statik (Tragwerkslehre), und die Planung der Haustechnik und der Elektro-technischen Anlagen. Letztlich aber sind alle drei Disziplinen streng dem Wohl der Benutzer bzw. dem gesellschaftlichen Wohl verpflichtet, wozu neben funktionalen, wirtschaftlichen und kulturellen Anforderungen natürlich auch gesundheitliche Aspekte gehören. Innerhalb dieses Dreier-Gespanns kommt in Fragen der Umsetzung der Architektur eine führende Rolle zu. Sie ist der geistige Schmelztiegel, der die Impulse und Anregungen der drei verwandten Disziplinen aufgreift, integriert und im besten Fall zu einer Einheit zusammenfasst. Eine Abtrennung der Baubiologie von der Architekturtheorie und – Praxis ist nicht zu verantworten. Die Ignoranz mancher Architekten gegenüber der Baubiologie erklärt sich aus ihrem Selbstverständnis als kreative Erneuerer, die die Möglichkeiten der Technik bis an ihre äußersten Grenzen ausdehnen wollen. Der Architekt als Teil der technischen und künstlerischen Avantgarde, der Architekt als technischer und gesellschaftlicher Visionär, Technik als Mittel zur Befreiung der Menschen von Mühsal und geistiger Enge, das ist das Credo der Moderne. Alles andere gilt als rückwärtsgewandt, als reaktionär und rückständig, oder zeitgeistig ausgedrückt als uncool. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Skrupel und begründete Bedenken gegenüber bestimmten technischen Lösungen nicht gerne oder gar nicht gehört werden. In Kombination mit einem starken wirtschaftlichen Interesse von Seiten der Bau- und Baustoffindustrie ergibt das einen mächtigen Trend, der sich vor unseren Augen durch massenhafte Bauzeugnisse manifestiert. Dort wo neue Argumente zu neuen technisch-industriellen Lösungen führen, wo neue Märkte entstehen und architektonische Innovationen gefragt sind, werden diese rasch aufgegriffen, integriert und umgesetzt. Generell verursachen Gebäude sowie bauliche Anlagen infolge ihrer Herstellung, Errichtung, Nutzung und Bewirtschaftung ca. 30% aller Energie- und Stoffströme sowie deren Wirkungen auf die Umwelt. Nicht zuletzt durch den ökonomischen Druck, der durch die ständig steigenden Energiekosten entsteht, kann die Forderung nach einer Ökologisierung des Bauens nicht mehr ignoriert werden. So ist in den letzten Jahren eindeutig zu beobachten, dass ein gewisses „ökologisches" Bewusstsein in der Architektur Einzug hält. Die Schlagworte lauten Klimawandel und Energieeffizienz. Man beginnt den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes zu betrachten, reduziert den Energieverbrauch und die CO²-Emission, achtet auf Kompaktheit und Verwendung erneuerbarer Rohstoffe und Energien. Über diese Neuerung herrscht breiter Konsens, wie zum Beispiel an der Entwicklung der gesetzlich vorgegebenen U-Werte gemäß nachstehender Tabelle zu erkennen ist. Auffallend ist dabei aber, dass der baubiologische Aspekt ausgeklammert wird. Nach wie vor werden die gesundheitlichen Einflüsse des Bauens auf Mensch und Umwelt nicht in vor-ausschauender und ganzheitlicher Weise berücksichtigt. Zwar gibt es Umweltlabors, die nachträglich Schadstoff-Messungen durch-führen, wenn offensichtliche gesundheitliche Probleme auftreten, aber es gibt keine Erfassung von Schadenspotentialen im Vorfeld, d.h. im Bereich der Planung. Im Gegenteil, der neue und an sich begrüßenswerte ökologische Ansatz vernachlässigt in der Praxis nahezu vollständig das Gefahrenpotential der massenhaft verwendeten Dämmstoffe, die im überwiegenden Ausmaß aus Erdöl hergestellt werden (Polystyrol, Polyurethan) und sowohl in Produktion als auch in Verarbeitung und Verwendung Schadstoffe emittieren. Auch die neuen Technologien der Energie-Gewinnung mittels Photovoltaik und Solarenergie-Nutzung werden keiner baubiologischen, ja auch keiner seriösen ökologischen Bewertung unterzogen. Am massenhaften Einsatz von Kunststoffen, giftigen Chemikalien und Schwermetallen, an der Zunahme von Elektro-Smog und schwer bis gar nicht recyclierbaren Mehrkomponenten-Bau-stoffen ändert der neue Trend zur „Ökologie" nichts. Mag die CO² Emission vielleicht auch zurückgehen, man hat den Eindruck, dass die Fokussierung der öffentlichen Debatte auf den Klimawandel alle anderen ökologischen und baubiologischen Fragestellungen in den Hintergrund drängt. In der Fachliteratur wird für das Gesundheitsgefährdende Potential von Baustoffen der Begriff Humantoxizität verwendet. In einer später noch eingehend zitierten Studie der TU Darmstadt heißt es zu diesem Thema explizit: „..auf die Darstellung und Interpretation weiterer Wirkungskategorien (z.B. Humantoxizität) wurde auf Grund der eingeschränkten Akzeptanz und bisher im Bauwesen nur lückenhaft vorliegenden Datengrundlage verzichtet." (4) Und dies geschieht nicht ohne Grund und Absicht. Es wird somit deutlich, dass die Disziplinen Baubiologie, Ökologie und Architektur und Bauingenieurwesen zwar verschiedene Aspekte des Bauwesens betrachten, letztlich aber nur in einer integrierten, ganzheitlichen Herangehensweise ihre Ziele erreichen können. |